Papst Franziskus Jubiläumsaudienz Ausserordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit
AUSSERORDENTLICHES JUBILÄUM DER BARMHERZIGKEIT
PAPST FRANZISKUS
JUBILÄUMSAUDIENZ
Samstag, 14. Mai 2016
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Der Tag sieht nicht ganz so gut aus [es regnet], aber ihr seid mutig und seid trotz des Regens gekommen. Danke! Diese Audienz findet an zwei Orten statt: Die Kranken sind in der »Aula Paolo VI«, aufgrund des Regens – dort sitzen sie bequemer und folgen uns über den Großbildschirm –, und wir sind hier. Wir sind vereint, wir und sie, und ich schlage euch vor, sie mit einem Applaus zu grüßen. Es ist nicht leicht, mit dem Regenschirm in der Hand zu applaudieren!
Unter den vielen Aspekten der Barmherzigkeit gibt es einen, der darin besteht, Mitgefühl oder Mitleid [ital. »pietà«] gegenüber jenen zu empfinden oder zu zeigen, die Liebe brauchen. Die »pietas« – die Frömmigkeit – ist ein Begriff, den es auch in der griechisch-römischen Welt gab, wo er jedoch einen Akt der Unterwerfung unter die Oberen bedeutete: vor allem die den Göttern zustehende Verehrung, dann die Achtung der Kinder gegenüber den Eltern, vor allem im Alter. Heute dagegen müssen wir achtgeben, die Frömmigkeit nicht mit jenem vielfach verbreiteten Pietismus gleichzusetzen, der nur eine oberflächliche Gefühlsregung ist und die Würde des anderen verletzt. Ebenso darf die Frömmigkeit auch nicht verwechselt werden mit dem Mitgefühl, das wir den Tieren gegenüber empfinden, die bei uns leben. Denn manchmal kommt es vor, dass man dieses Gefühl gegenüber den Tieren empfindet und den Leiden der Brüder gegenüber gleichgültig bleibt. Wie oft sehen wir Menschen, die an Katzen oder Hunden hängen und dann den Nächsten, die in Not sind, die Hilfe versagen… Das geht nicht.
Die Frömmigkeit, über die wir sprechen wollen, ist ein Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes. Sie ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes, die der Herr seinen Jüngern schenkt, um sie bereit zu machen, »den göttlichen Eingebungen willig zu gehorchen« (Katechismus der Katholischen Kirche, 1831). In den Evangelien wird oft der spontane Schrei wiedergegeben, mit dem sich kranke, besessene, arme oder niedergeschlagene Menschen an Jesus wandten: »Hab Erbarmen « (vgl. Mk 10,47-48; Mt 15,22; 17,15). Allen antwortete Jesus mit dem Blick der Barmherzigkeit und dem Trost seiner Gegenwart. In diesen Hilferufen oder Bitten um Mitgefühl brachte jeder auch seinen Glauben an Jesus zum Ausdruck, indem er ihn »Meister«, »Sohn Davids« und »Herr« nannte. Sie spürten, dass in ihm etwas Außergewöhnliches war, dass er ihnen helfen konnte, aus der traurigen Situation, in der sie sich befanden, herauszukommen. Sie nahmen in ihm die Liebe Gottes wahr. Und auch wenn die Menge sich um ihn drängte, bemerkte Jesus jene Rufe nach Erbarmen und zeigte Mitgefühl, vor allem wenn er leidende und in ihrer Würde verletzte Menschen sah, wie im Fall der blutflüssigen Frau (vgl. Mk 5,32). Er forderte sie auf, auf ihn und sein Wort zu vertrauen (vgl. Joh 6,48-55). Mitgefühl zu zeigen bedeutet für Jesus, die Traurigkeit dessen zu teilen, dem er begegnet, aber gleichzeitig auch, sich persönlich dafür einzusetzen, sie in Freude zu verwandeln.
Auch wir sind aufgerufen, in uns ein Mitfühlen zu pflegen angesichts vieler Lebenssituationen, indem wir die Gleichgültigkeit von uns abschütteln, die uns daran hindert, die Bedürfnisse der Brüder zu erkennen, von denen wir umgeben sind, und uns von der Knechtschaft des materiellen Wohlstands zu befreien (vgl. 1 Tim 6,3-8). Schauen wir auf das Vorbild der Jungfrau Maria, die für jedes ihrer Kinder Sorge trägt und für uns Gläubige das Bild des Mitfühlens ist. Dante Alighieri bringt es in dem Gebet zur Gottesmutter zum Ausdruck, das auf den Höhepunkt des Paradieses gestellt ist: »In dir sind Mitleid, Erbarmen, Herrlichkeit, und die ganze Güte aller Geschöpfe vereinigt« (33,19-21). Danke.
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Ein herzliches Willkommen allen Pilgern und Besuchern deutscher Sprache. Am heutigen Vorabend von Pfingsten wollen wir uns innerlich mit der Jungfrau Maria und den Aposteln vereinen, die sich in der Erwartung des Heiligen Geistes zum Gebet versammelt hatten. Der Tröster helfe euch, im Glauben und in der Liebe zu wachsen, um Zeugen der echten Frömmigkeit zu werden. Der Herr segne euch und eure Familien.